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Gartentherapie: Mensch und Natur zusammenbringen

Der Garten in Psychotherapie, Ergotherapie und Pädagogik: Ein Gespräch über Mensch und Natur mit Andreas Niepel, dem Abteilungsleiter Gartentherapie an der Klinik Holthausen.

Herr Niepel, warum sind Sie Gartentherapeut geworden?
Ich habe ursprünglich eine Gärtnerlehre gemacht - im Übrigen gefühlt immer noch eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Als ich danach meinen Zivildienst in einem Krankenhaus mit angeschlossenem Altenheim absolvierte, bekam ich schon eine Idee davon, dass man das kombinieren könnte.

Nachdem ich dann in einer Produktionsgärtnerei beschäftigt war, wurde mir schnell klar, dass ich „mein Gärtnern“ nicht in der Pflanzenproduktion finden würde, sondern dort, wo Menschen davon direkt profitieren. Und so hat mich der Weg über die anfängliche Idee des therapeutischen Gartens und über Anstellungen in Krankenhäusern Stück für Stück zur Gartentherapie gebracht.

Was genau macht man, wenn man in Gartentherapie ist, wie sieht das genau aus?
Machen wir es mal konkret: Gartentherapie, letzte Woche, zwei Patienten im Gewächshaus. In der ersten Phase ging es um die gemeinsame Beobachtung und Einschätzung: Was haben wir letzte Woche gemacht? Was hat sich seitdem entwickelt? Und was brauchen unsere Pflanzen, in diesem Falle unsere Tomaten? Dann folgte die aktive Phase, mit dem neuen Anbinden, dem Durchputzen, dem Ausgeizen und ja, auch dem Ernten. Schließlich die Reflektion: Wie sieht es jetzt mit unseren Pflanzen aus und auch was ging dabei gut, was fiel schwer?

„Mit dem Garten bedeutsame Situationen für Patient*innen schaffen“

Welche therapeutischen Ziele stecken hinter den Aktivitäten?
Dabei kann es um ganz unterschiedliche Therapieziele gehen: Der eine Patient konnte seine motorischen Fähigkeiten trainieren, musste aufrecht stehen, die Hände auf Schulterhöhe miteinander koordiniert einsetzen und sehr gezielt beim Ausgeizen greifen. Für den zweiten Patienten war die Herausforderung eine ganz andere: Nämlich wirklich „Hand anzulegen“, sich zu überwinden an der Pflanze die notwendigen Schnitte vorzunehmen. Dabei geht es dann darum, das Zögern zu überwinden, mehr Selbstvertrauen zu gewinnen und Selbstwirksamkeit zu spüren.

Das zeigt, dass es immer darum geht, mithilfe des Gartens und seiner Pflanzen Situationen zu schaffen, die für die Patient*innen bedeutsam sind. Und wenn am Ende jeder drei Tomaten mitnimmt, dann ist die „Belohnung“ für diese Anstrengung auch noch sehr direkt.

Wozu wird die Gartentherapie noch eingesetzt?
Sie wird in den unterschiedlichsten Bereichen genutzt. Durch gezielte Auswahl der Tätigkeiten können Sie motorische Aufgaben trainieren. Sie können aber auch im pädagogischen Bereich Situationen für die Wahrnehmungsförderung kreieren oder beim gemeinsamen Pflegen eines Gartens über eine Saison auf Verhaltensmuster eingehen, um nur einige Beispiel zu nennen.

Wenn Gartentherapie so breit eingesetzt werden kann, wer führt sie dann klassischerweise durch? Psycho- oder Ergotherapeut*innen? Oder gibt es reine Gartentherapeut*innen?
Die klassische Antwort ist: Sowohl als auch. Speziell im europäischen Raum, im Gegensatz beispielsweise zum eigentlichen „Mutterland der Gartentherapie“, den USA, gibt es tatsächlich beides: Therapeut*innen mit unterschiedlichen Hintergründen, die die Gartentherapie als Methode einsetzen und reine Gartentherapeut*innen. Und das ist gut so. Die Gartentherapie, gerade hier im deutschsprachigen Raum, hat integrativ viele Bereiche mitaufgenommen. So ist ein buntes Feld an Methoden und Ansätzen entstanden.

Dennoch: Immer gilt, dass die therapeutische, pflegerische oder pädagogische Basis unabdingbar ist, um der Verantwortung für unsere Patient*innen gerecht werden zu können. Gleichzeitig geht es aber auch nicht ohne „gärtnerisches Faible“. Oder könnten Sie sich eine Tanztherapeutin vorstellen, die das Tanzen nicht mag, einen Musiktherapeuten, der zwar guter Psychologe aber miserabler Musiker ist?

Gartentherapie ohne Garten

Kann man Gartentherapie in jedem Garten machen, oder braucht man spezielle Therapiegärten?
Spannenderweise ist ein Garten nicht einmal eine zwingende Voraussetzung. Die Basis der Gartentherapie ist es, Naturkontakt zu erhalten und zu gestalten. Und zwar immer auf der Basis der jeweiligen Möglichkeiten der Patienten.

Das gilt natürlich auch für schwer betroffene Menschen, beispielsweise eine bettlägerige Person in einem Altenheim. Und auch wenn diese nun aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage sein kann, nach draußen in den Garten zu gehen, so ist doch unbestreitbar, dass gerade für einen solchen Menschen der Naturentzug besonders dramatisch ist.

Was machen Gartentherapeut*innen in einem solchen Fall?
Die Gartentherapeutin würde dann mit mobilen Lösungen die Natur zum Menschen bringen. Sie würde Pflanzen mitbringen, vielleicht auch nur Fotos oder sie würde sogar erst einmal mit einer Imagination arbeiten. Ebenso werden derartige mobile Lösungen sehr oft auf ganzen Wohnbereichen oder Stationen angeboten. Der nächste Schritt wäre dann tatsächlich eine kleinere Terrasse oder ein einfach zu erreichender Balkon.

Diese Reihe lässt sich nun natürlich bis hin zu kompletten, speziellen Gärten erweitern, eben je nach den Fähigkeiten der Zielgruppe. Und so hängt die Qualität der Gartentherapie nicht von der Ausstattung des Therapieraumes Garten ab, sondern vom Konzept dahinter und davon wie speziell dieser Gartenraum an die betroffenen Menschen angepasst ist.

Fließender Übergang zwischen Therapie und Pädagogik

Wie wirkt die Gartentherapie?
Ich bin früher oft gefragt worden, was einen guten Gärtner ausmacht. Mir fiel dann ein, dass ein guter Gärtner jemand ist, der Bedingungen schafft, unter denen eine Pflanze wachsen kann.  Als ich dann vor zwei Jahren an einem Buch über ein Therapiekonzept beteiligt war (das CC-Konzept), stieß ich auf eine Therapiedefinition von Carl Rodgers. Da hat sich eine erstaunliche Parallele aufgetan: Er beschreibt Therapie verkürzt als Ansatz, Situationen zu schaffen, in denen ein Mensch wachsen und sich entwickeln kann.

Dementsprechend ist es nur logisch, wenn die Gartentherapie den grundsätzlichen Anspruch hat, vorhandene Ressourcen zu fördern. Unserer Auffassung nach kann das nicht gelingen, wenn der Mensch unter Naturentzug existiert – wie beispielsweise im zuvor genannten Altenheim-Beispiel. Wir schaffen also positive Lebensbedingungen, wobei der ökologische Charakter des Menschen ganz vorne steht, aber natürlich nicht der einzige ist. Dieser Ansatz macht auch deutlich, dass die Übergänge von Therapie und Pädagogik in der Gartentherapie sehr fließend sind.

Gibt es Studien, die die Wirksamkeit der Gartentherapie belegen können?
Natürlich, die gibt es. Dabei geht es auf der einen Seite um die Frage, ob die Auseinandersetzung mit der Natur, den Pflanzen und so weiter grundsätzlich gesundheitsfördernd ist und ob ein Entzug schadet. Hier haben sich seit Anfang der Achtziger Jahre mittlerweile Unmengen von Studien angesammelt und das Ergebnis ist eindeutig ja.

Und dann gibt es die Frage nach der eher speziellen Wirksamkeit von Gartentherapie, beispielsweise auch bei speziellen Indikationen. Hier ist die Studienlage tatsächlich noch dünner. Das liegt auch am interdisziplinären Wesen der Gartentherapie. Neben einigen Untersuchungen speziell aus den USA gibt es aber schon eine gut gemachte Untersuchung zur Wirksamkeit bei Schmerzpatienten aus der Schweiz und jetzt gerade zuletzt wurde eine sehr groß angelegte Untersuchung mit dementiell erkrankten Menschen im Auftrag der IKK in Deutschland durchgeführt, die im Herbst vorgestellt wird.

Gartentherapie und Krankenkasse

Wenn die Wirksamkeit also eigentlich klar ist, zahlt dann auch die Krankenkasse?
Die Antwort „Jein“ gefällt mir hier fast so gut, wie das „Sowohl als auch“ von vorhin. Setzen Therapeut*innen die Gartentherapie als Mittel der Wahl ein, beispielsweise in der Ergo- oder Psychotherapie, so ist dieses natürlich auch abgedeckt. Zudem findet sich die Gartentherapie im Katalog der therapeutischen Leistungen der Rentenversicherung in Deutschland wieder. Andererseits ist Gartentherapie an sich so nicht zu verordnen und kann demnach auch nicht direkt abgerechnet werden.

„Wir arbeiten mit dem Leben an sich“

Zum Schluss noch eine saisonale Frage: Gartentherapie im Winter, geht das?
Eindeutig ja! Einerseits hatte ich ja schon gesagt, dass es tatsächlich oft auch eine Form von Indoor-Gartentherapie gibt. Andererseits ist mir auch ein anderer Aspekt dabei wichtig. Es geht eben nicht nur darum jemanden irgendwelche beliebigen Verrichtungen zu offerieren, sondern es ist schließlich das Leben an sich mit dem wir arbeiten. Und dieses Leben ist ein sehr rhythmisches. Es wächst, es ruht und jede Zeit ist anders. Gerade dieses auch wieder zu erleben, auch dann wiederum auf sich zu übertragen, das hat einen besonderen Reiz.

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